Sozialstaat Deutschland
Wunsch und Wirklichkeit
Wir sprechen in Deutschland gern von der sozialen Marktwirtschaft und sind nicht zu Unrecht stolz auf die vielen sozialen Errungenschaften. Aber was ist dran am Sozialstaat, wenn man unverschuldet wirklich Hilfe benötigt?
Ich bin in meinem familiären Umfeld quasi Mitbetroffener und war als langjähriger Personaler der Meinung, ich hätte ein bisschen Ahnung vom Sozialversicherungswesen unseres Landes. Was ich in den letzten Monaten aber erleben musste, lässt mich fassungslos zurück.
Zum Fall: Eine Person, die ihr Leben lang gearbeitet hat, muss sich vor einigen Jahren krankheitsbedingt einer schweren Operation unterziehen und kann ihren Job nicht mehr ausüben. Nach langem hin und her finanziert die Rentenversicherung eine Umschulung und die betroffene Person übt diesen neuen Beruf über mehrere Jahre aus und zahlt weiter in unser Sozialversicherungssystem ein. Nun wird nach einigen Jahren bei einer Untersuchung erneut eine Schädigung festgestellt, die unverzüglich durch eine OP behandelt werden muss. In der Folge treten weitere erhebliche Einschränkungen auf, die die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität erheblich beeinflussen.
Nun wird ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente und ein Antrag zur Feststellung des Grades der Behinderung gestellt. Beide Anträge werden nach ca. 4-monatiger Bearbeitungszeit abgelehnt und in der Begründung wird in beiden Fällen mitgeteilt, dass keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes festgestellt werden kann. Die Rentenversicherung schickt dabei innerhalb weniger Tage gleich mehrere Bescheide, teilweise doppelt, teilweise aus Sicht der Betroffenen auch widersprüchlich, ohne dass sich die Bescheide in irgendeiner Form aufeinander beziehen. Parallel rufen Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherung an und wollen mündliche Aussagen der betroffenen Person erzwingen, die sich auf die Anträge bei der Rentenversicherung beziehen. Aus meiner Sicht mit einem einzigen Ziel: Möglichkeiten zu finden, die eigenen Versicherungsleistungen zu kürzen oder zu verweigern.
Mit Verlaub, aber dieses System unterstützt nicht Menschen, die Hilfe benötigen, sondern treibt sie durch Ausübung psychischen Drucks in zum Teil existenzbedrohliche Situationen. Nur um es klarzustellen: Es handelt sich hier nicht um Bitsteller, sondern um Versicherte, die Hilfe benötigen und eine Versicherungsleistung in Anspruch nehmen wollen und das von gesetzlich regulierten Stellen.
Die Art und Weise, wie mit Menschen, die unverschuldet in Not geraten umgegangen wird, ist nicht mit einem sozialstaatlichen Verhalten vereinbar. Ganz im Gegenteil, den Betroffenen wird offensichtlich von vornherein unterstellt, dass sie sich Leistungen erschleichen wollen. Echte Hilfe - Fehlanzeige!
Fazit: Auf dem Papier ist Deutschland ein Sozialstaat. In der Praxis ist die Inanspruchnahme von Sozialleistungen und hier im konkreten Fall von Versicherungsleistungen nur durch die Überwältigung massiver Hürden möglich.
Traurig, aber leider wahr!