Eins gleich zu Beginn, digitale Kompetenz heißt nicht programmieren zu können. Bei der digitalen Kompetenz geht es eher darum, zu verstehen was mit moderner Technologie alles möglich, aber vor allem auch was sinnvoll ist. In den Beratungsprojekten die ich begleite ist sehr häufig zu beobachten, dass die Möglichkeiten neuer Technologien sehr oft falsch eingeschätzt werden. Dabei wird zum Teil mehr erwartet als real möglich ist, zum Teil wird aber auch völlig unterschätzt was alles geht. Hier eine entsprechende Kompetenz zu entwickeln, die zum einen befähigt die Einsatzmöglichkeiten aber auch die Grenzen moderner Technologien richtig einschätzen zu können, wird für viele Unternehmen an Bedeutung gewinnen. Und, diese digitale Kompetenz benötigen wir primär nicht nur in den IT-Abteilungen sondern vor allem in den verschiedenen Fachbereichen. Einige Beispiele sollen diese These untermauern:
Künstliche Intelligenz
Bei der Künstlichen Intelligenz ist es wie bei der natürlichen Intelligenz. Ein hoher IQ heißt noch lange nicht, dass dieses enorme Potenzial auch tatsächlich optimal genutzt wird. Wird die Nutzung dieses Potenzials nicht kontinuierlich trainiert, wird man aus diesem IQ auch keinen Nutzen ziehen können. Genauso ist es auch mit der künstlichen Intelligenz. Ein typisches Anwendungsfeld sind hier Chat Bots. Also interaktive Chat Systeme, zum Beispiel auf Jobangebotsseiten, die auf typische Fragen von Bewerbenden die richtigen Antworten geben sollen. Diesen Systemen muss man aber zunächst einmal beibringen welche Antworten zu welchen Fragen passen und die Antworten müssen natürlich auch immer auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Schließlich können sich zum Beispiel Rahmenbedingungen oder Verfahren auch mal ändern. Der Aufwand für solche Trainingsaktivitäten wird häufig unterschätzt. Aber ein nachhaltiger Effekt, also eine Entlastung für die Organisation, erreicht man nur, wenn die System gut trainiert und auf einem aktuellen Stand sind. Digitale Kompetenz heißt in diesem Fall also gut einschätzen zu können, wie mit solchen Systemen umzugehen ist und für welche Einsatzzwecke welche Beistellarbeiten durch den Fachbereich benötigt werden.
NLC-Technologie
NLC bedeutet hier No-Code und Low-Code. Eine recht neue Technologie, die aber mit ihrem gewaltigen Potenzial mit Sicherheit an Bedeutung gewinnen wird. No-Code heißt, dass man ohne eigene Programmierkenntnisse eine eigene Applikation bauen kann. Ich vergleiche das gern mit einem Lego-Baukasten. Ich erhalte eine Vielzahl von Bausteinen (in diesem Fall Funktionen) und kann diese weitestgehend nach belieben zusammenbauen und so meine eigene Kreation (hier ein Programm bzw. einen Prozess) gestalten. Erst wenn eine Funktion / ein Baustein nicht vorhanden ist, benötige ich einen Experten, der dann mit Low-Code (einfachem Coding) oder Deep-Code (komplexerem Code) diesen Baustein erstellt und mir zur Verfügung stellt. Ist der Baustein einmal gebaut, dann steht mir die Funktion in Zukunft für weitere Anwendungen zur Verfügung. Da die Anbieter dieser Plattformen in der Regel Industriestandards nutzen, entsteht auch keine Abhängigkeit von einem bestimmten Anbieter oder Hersteller. Ein riesiger Vorteil ist, dass sich Anwendungen aus solchen Plattformen ideal in eine vorhandene IT-Infrastruktur einbetten lassen. Die Entwicklung der Prozesse und Anwedungen ist dabei absolut agil, nach dem Motto "bauen - testen - nutzen". Selbst wenn im Test mal nicht das gewünschte Ergebnis erzielt wird, verwirft man den Ansatz und baut etwas Neues. Der Aufwand ist im Vergleich zur klassischen Anwendungsentwicklung deutlich geringer und kann direkt vom Fachbereich vorgenommen werden. Digitale Kompetenz heißt hier also, dass Potenzial dieser Technologie zu erkennen und den Mut zu haben auszuprobieren und selbst zu entwickeln.
Business Case
Digitale Kompetenz heißt natürlich auch erkennen zu können, wo Aufwand und Nutzen in einem gesunden oder eher in einem ungesunden Verhältnis stehen. Ob Standards zur Abdeckung der eigenen Bedürfnisse ausreichen, ob ein 80/20 Ansatz sinnvoll ist und ob tatsächlich ein Regelwerk (Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung) wörtlich in einem technischen System abgebildet werden muss. Das Erkennen von Ursache und Wirkung in komplexen Gebilden steht hier im Vordergrund und sollte in einer modernen Organisation gefördert werden.
Wo soll es herkommen?
Das wir mit dem jetzt kommenden Nachwuchskräften diese Kompetenzen gleich mitbekommen ist bedauerlicherweise nicht sichergestellt. Unser recht fortschrittsscheues Schulsystem wird wie das nachfolgende Beispiel zeigt jedenfalls nicht dafür sorgen.